16.12.2018Teilen

Reisebericht: Madhya - vom Finden der Mitte auf Madeira

Die Landung geht wie immer blitzschnell. Kein Pilot schießt hier über das Ziel hinaus, es sei denn, er muss eine Extraschleife fliegen. Die über gigantische Stelzen verlängerte Landebahn liegt mittig eingeschlossen zwischen der Steilküste und dem Atlantik und ist immer noch so kurz, dass die Piloten für diesen Flughafen speziell ausgebildet werden.

Madeira liegt mitten im Atlantik, das Hotel Estalagem ragt dabei hoch über dem Atlantik, 1000 km südwestlich von Lissabon, 600 km vor der marokkanischen Küste und 450 km nördlich der Kanarischen Inseln.

Auch das Klima ist auf Madeira in der magischen Mitte. Milde Winter und sonnige Sommer ohne Hitze. Auf Madeira herrscht quasi das ganze Jahr hindurch Frühling. Nicht zu heiß, nicht zu kalt, nicht zu trocken, nicht zu feucht. Zwischendurch immer mal wieder kurze Niederschläge, die für ein subtropisches Klima sorgen und der Insel die immerwährende Blütenpracht bescheren, für die sie so bekannt ist.

In dieser besonderen geographischen und klimamittleren Lage findet unser einwöchiges Yoga-Retreat Anfang November 2018 statt. Was liegt also näher als Madhya zu finden? Unsere ganz persönliche Mitte in den Standhaltungen, den Gleichgewichtsübungen, den Atemlenkungen und in der Meditation. Das rechte Maß liegt im Gleichgewicht von Abhyasa, der Anstrengung und Vairagya, dem Loslassen. Hier lässt sich Mühelosigkeit und Leichtigkeit in ihren subtilsten Ausprägungen entdecken.

Portugal Madeira Ponta do Sol Hotel Estalagem Yoga

Schlüssel für diese Balance ist der Atem, der uns durch die dynamischen Reihen trägt und der uns in den Meditationseinheiten hilft, uns über einen längeren Zeitraum zu fokussieren. Wir bringen uns in die Mitte zwischen zwei Punkten. Dort halten wir die Aufmerksamkeit und die Energie. Um uns dann von dieser Konzentration wieder auszuweiten. In die Schönheit der Umgebung. Und ins pralle Leben, das uns gleich an einem der ersten gemeinsamen Abenden ein großartiges Konzert schenkt: Die bekannte und verehrte Portugiesin Sara Tavares wird für ein Open-Air-Konzert im stimmungsvoll hergerichteten Hotelgarten mit spektakulärem Meeresblick erwartet. Fans und Verehrer aus den umliegenden Dörfern finden sich ein, die Sonne versinkt am Horizont und gegen halb elf erklingt Sara Tavares Stimme zum ersten Mal über dem Atlantik. Nach einigen Takten übernimmt die Klavierstimme. Ein Schleier aus Tönen, der sich wie ein langgestreckter Meeresarm tief ins Landinnere der kleinen Bucht vor dem Hotel ausbreitet, erfüllt den sanft erleuchteten Garten hoch oben auf dem zerklüfteten Felsen.

Die Schwingungen des Konzertes sind am darauffolgenden Morgen noch im Yogaraum zu spüren, in der die latente Müdigkeit durch eine kraftvolle Praxis schnell verfliegt. Im Pulsieren des Herzens entwickelt sich Wärme, die uns geschmeidig in die Haltungen fließen lässt. Wir sammeln, verdichten, zentrieren und finden Madhya.

Zur Wochenmitte stellt sich heraus, dass es jemanden unter uns gibt, die Witze erzählen kann. Das trauen sich wenige, weil sie entweder beim Erzählen so lachen müssen, dass man kein Wort versteht oder sie vergessen den roten Faden oder – noch schlimmer – die Pointe. Es erfordert höchste Konzentration, um einen Witz zu erzählen, damit er in spielerischer Leichtigkeit beim Zuhörer ankommt. Auch das ist ein Ausbalancieren und Einpendeln in der Mitte, in der es sich so anfühlt, als würde diejenige schon immer Witze erzählen, sodass die Zuhörer wohlig lachend im Auf und Ab des Zwerchfells schwingen. Das beschenkt uns für einen kurzen Moment mit herrlicher Leere im Geist und löst Enge und Verspannungen im Körper, mit denen wir auch in der restorativen Yin-Yoga-Praxis an den Abenden konfrontiert werden. Hier hilft uns wieder der Atem, Weite zu schaffen und allmählich loszulassen.

Ein Perspektivenwechsel zeigt uns am letzten Abend, wie sehr wir selbst die Architekten unseres eigenen Lebens sind. Schaut man aus der malerischen, kleinen Bucht von unten auf den massiven Felsen, auf der das Estalagem liegt, wirken die Fassaden des Hotels wie winzige Spielhäuser. Ist man obendroben hat das Hotel etwas Majestätisches, Erhabenes. Und etwas Magisches. So wie der Blick vom Bug der Hotelanlage ins endlose Meer an die mythenumwobene Titanic erinnert. Genau an dieser Stelle ereignet sich jeden Abend das gleiche Spektakel im immer wieder neuen Farbrausch: Der Sonnenuntergang. Hier kann man sich immer wieder neu in Madhya, der Mitte positionieren, die jede Perspektive aufhebt und relativiert. Im Yoga nennt man es Dharana und der englische Begriff Centering übersetzt dieses Wort am stimmigsten. Wir bringen uns in die Mitte und weiten uns dann wieder in alle Richtungen, ins Leben aus. Umhüllt vom weißen Licht der untergehenden Sonne.

Eure Alexandra

Die nächste Yoga-Reise mit Alexandra und NEUE WEGE findet vom 28.09. - 05.10.2019 im Sporthotel Hotel Feel Viana, Nordportugal statt.

Dieser Beitrag wurde geschrieben von:

NEUE WEGE Yogalehrerin Alexandra Habermaier